Dieser Artikel ist Teil eines Buchprojektes, in dem Krebspatienten und Angehörige über Ihre Erfahrungen berichten. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Gestern erreichte mich die Mail meiner Nichte: Bei ihrer Cousine sei – nun schon zum zweiten Mal – Krebs ausgebrochen: Operation, Metastasen in Gehirn und Lunge, aber die Ärzte meinten, die im Kopf seien vielleicht doch nicht so schlimm, da sie noch keine „Ausfälle“ hätte …
Zu meiner Beruhigung erfuhr ich, dass die Patientin schon bei ihrer ersten Erkrankung neben der schulmedizinischen Behandlung auch Hilfe durch alternative Heilmethoden gesucht und gefunden hatte.
Beruhigung? Ja, denn auch nach den Erfahrungen in meinem unmittelbaren Umfeld habe ich die Überzeugung gewonnen, dass dieser (und wohl jeglicher) Erkrankung auf mehreren Wegen begegnet werden sollte.
Diagnose Non-Hodgkin-Lymphom
Jede Nachricht von einem Krebsleiden trifft mich immer noch wie ein Schlag und weckt die Erinnerung an den Abend, als mein Mann nach dem Arztbesuch nach Hause kam und mir die Diagnose Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) mitteilte.
Damals musste ich mich erst einmal hinsetzen, und es entstand ein unfassbarer Wirbel im Kopf. Trotz des Schocks war mir aber eines klar: bloß keine Hysterie! Es ging ja schließlich nicht um mich und meine Seelenlage, sondern um ihn, den es mitten in einer glücklichen, weitgehend problemfreien Lebenssituation getroffen hatte.
Mein Mann machte es mir dabei von vorneherein wirklich leicht. Sicher tauchten auch einmal dunklere Momente bei ihm auf, Zweifel, Ängste, aber zumeist war er von großem Optimismus getragen und von Tatkraft, das „Ding“ zu besiegen!
Was aber ging in mir vor?
Es hatte ja in den vergangenen Monaten durchaus Signale gegeben, die jedoch sowohl mein Partner als auch ich weitgehend verdrängt hatten. Existierte doch außer einem hartnäckigen fühl- und sichtbar vergrößerten Lymphknoten keinerlei wirklich beunruhigendes Anzeichen einer Krankheit. Dennoch hatte ich etwa drei Monate vorher durch Zufall in einer Apothekenzeitschrift einen Artikel über einen jungen Mann gefunden, dessen Non-Hodgkin-Lymphom erfolgreich mit Rituximab behandelt worden war. Ich hatte mir diesen Text, ohne wirklich zu wissen, warum, und ohne nach der Bedeutung des für den Laien geheimnisvollen „Wundermittels“ weiter zu recherchieren, aufgehoben …
In den etwa zwei Wochen, die bis zu der Absicherung der Diagnose bei meinem Mann durch diverse Untersuchungen vergingen, erlebte ich die Welt wie in eine totale Sonnenfinsternis getaucht: Alles wurde unwirklich, Menschen, Ereignisse, Verpflichtungen, Gegenstände wirkten verfremdet. Alles bekam einen „finalen“ Charakter: Würde dies oder jenes nun „zum letzten Mal“ stattfinden? Jedoch vermied ich nach außen natürlich, dies merken zu lassen!
Angst ist der Begriff, unter dem sich alles subsummieren ließ: Angst wegen möglicher großer Leiden des geliebten Partners, Angst, ihn zu verlieren, ohne ihn zurückzubleiben und ein neues, fremdes Leben alleine weiterführen zu müssen, nach immerhin etwa 25 Jahren Zusammensein und zahllosen Gemeinsamkeiten in Beruf und Freizeit.
Diese Empfindung war wie eine steinerne Faust, die immer wieder hochkam und versuchte, Körper, Geist und Seele zu lähmen. Dennoch hatte ich, wie auch „mein Patient“, gleichzeitig den unbedingten Willen zum Kampf.
Umgang mit der Angst
Es war mir klar, dass ich Kraft brauchte, und schöpfte sie eine lange Zeit aus physischen – zum Glück recht großen – Reserven. Diese konnte ich auch immer wieder beim Tango Argentino mit meinem Mann aufbauen, der sich das Tanzen weder von den Chemos noch sonstigen anstrengenden Behandlungen vermiesen ließ!
Er konnte und wollte sich nicht sofort mit den Details seiner Krankheit beschäftigen – was ihm als Naturwissenschaftler viel Erkenntnis gebracht hätte – er holte es später nach. Ich aber versuchte mich nun gleich nach allen Richtungen zu informieren, den Feind sozusagen auch verstandesmäßig zu erfassen. Durch eine Kollegin, die vor Jahren selbst Krebs gehabt und überstanden hatte, bekam ich viele Tipps, auch den, mich mit den Schriften der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr (GfBK) zu beschäftigen. Sie brachte mir einen Stapel von deren Zeitschrift „Signal“ mit, den ich komplett durcharbeitete, woraufhin ich beschloss, Mitglied zu werden. So konnte ich die Situation „im Kopf“ einigermaßen auf die Reihe bringen.
TCM und andere Ergänzungen zur Schulmedizin
Durch Lektüre und den Rat sowie die tatkräftige Unterstützung einer Freundin, die gerade Heilpraktikerin geworden war, ließ mein Mann sich außer von der Schulmedizin auch alternativ behandeln. Er entdeckte insbesondere die Traditionelle Chinesische Medizin, bekam Infusionen zur Ausleitung und Entgiftung und übte sich im Visualisieren und Entspannen.
Warum soll man schließlich nicht alles kennenlernen, was helfen könnte?
Es gibt heutzutage unzählige Ideen sowie Strategien, Krankheiten zu begegnen. Darunter sicher auch Unbrauchbares, da eventuell nur von kommerziellem Interesse geleitet! Aber darf ein Patient im 21. Jahrhundert nicht aufgeklärt und selbstbewusst aus dem Gesamtangebot auswählen, was ihm speziell gut tut? Ich habe nie wirklich die Spaltung von Schul- und alternativer Medizin verstanden. Wie hilfreich wäre eine ergänzende, sich wechselseitig bereichernde Zusammenarbeit! Wollen sie denn nicht beide im Grunde das Beste für den Patienten?
Zwischen Hilfe und Bevormundung
Auch als „teilnehmender“ Partner möchte man das natürlich. Aber gerade das wird manchmal zum Problem: Wo liegt die Grenze zwischen Hilfe und Bevormundung? Jeder Betroffene erlebt seine Krankheit anders, seine Seele, sein Körper und Geist reagieren ganz individuell. Die Herausforderung für die Angehörigen besteht darin, Sensibilität dafür zu entwickeln, um richtig agieren und reagieren zu können, ohne dabei – und das habe ich als ganz wichtig erlebt – selbst „verloren“ zu gehen. Schon Bekannte, Freunde und weniger nahe Verwandte tun sich oft schwer, den „richtigen Ton“ mit dem Erkrankten zu finden. Das schwankt zwischen einer Erkundigung nach dem Befinden mit „Grabesstimme“ bzw. dem völligen Ignorieren oder aus dem Weg gehen. Am liebsten hatten wir den ganz normalen Kontakt, ohne Dramatisierung und ohne Verdrängung des Zustandes. Das lässt sich aus meiner Erfahrung auch auf den täglichen nahen Umgang anwenden. Einfach leben! Nicht dauernd grübeln, was noch alles kommen könnte, Normalität im Tagesablauf. Natürlich erinnern Behandlungstermine, Begleiterscheinungen der Krankheit, Nebenwirkungen der Therapien immer wieder an die Situation, aber Jammern oder Grübeln machen das nicht besser! Entscheidend ist doch die Lebensqualität, das, was man jetzt und heute genießen kann und Schönes erlebt!
Ich empfand es als hilfreich, zu nahezu allen Arztbesuchen mitzufahren, was immer viel Zeit in Anspruch nahm, da sie nicht in der Nähe unseres Heimatortes stattfanden. Für mich waren das keine Grauen erregenden Termine, sondern einfach Stunden des Zusammenseins, der Gespräche, auch Zeit für Entspannung! Ich muss allerdings auch gestehen, dass es mir schwergefallen wäre, zu Hause auf die aktuellen Untersuchungsergebnisse zu warten …! Diese wurden aber Gott sei Dank zunehmend besser und versprachen Gesundung!
Durch verschiedene andere zusätzliche Belastungen im privaten und beruflichen Umfeld merkte ich jedoch nach etwa zweieinhalb Jahren bei mir „Nebenwirkungen“. Ständig wiederkehrende, hartnäckige Bronchitis-Schübe, Müdigkeit, gleichzeitig ein fortwährendes Getriebensein in einem imaginären Hamsterrad. Eine dreiwöchige Reha auf einer klimatisch hoch begünstigten Nordseeinsel bot diesem unguten „Treiben“ endlich Einhalt.
Das Anschauen eines goldenen Sonnenuntergangs am Meer, das Zeit und Stunde vergessen lassende Erkunden der Insel mit dem Fahrrad, Bewegung an der Luft konnten es richten.
Kein „Mitstreiter“ sollte ständig mit schon fast leerer Batterie weiterkämpfen! Je tiefer die Betroffenheit, desto bedeutsamer die Besinnung auch auf sich selbst und das bewusste Kraftschöpfen für alle kommenden Herausforderung