Coronakrise in China Mein Leben mit der Coronakrise in China

Mundschutz, Quarantäne, geschlossene Geschäfte und gestrichene Flüge. Hier berichtet unsere Gesellschafterin Heike Lenz, wie sie als Deutsche 7,5 Wochen Corona-Krise in China (Shanghai) erlebt hat.

Meine Familie und ich leben in Shanghai, China. Wir sind vor 1,5 Jahren von Stuttgart aus hier her gezogen. Mein Mann wollte eine neue berufliche Herausforderung annehmen und ich war offen für das Abenteuer China. Anfangs haben uns beide Kinder begleitet, inzwischen ist nur noch unser Sohn hier. Er besucht die internationale Schule. Wir planen in 3 Jahren nach Deutschland zurückzukehren.

Wie alles begann: „Chinese New Year“ im Schatten des Virus

Mitte Januar kam hier erstmals die Nachricht in Umlauf, dass sich ein Virus in der Region Hubei verbreite, aus Wuhan kommend, das schnell um sich greife, ähnlich einer Grippe oder Lungenentzündung. Das schien alles sehr weit weg zu sein und uns weiter nicht zu berühren.

Ein paar Tage später schon wurde die Stadt Wuhan abgeriegelt und mit ihr, vier weitere Städte in der Region. Die Sorge ging um, ob der Staat zu langsam reagiert hätte und schon zu viele Menschen die Städte bereits verlassen hätten. Das chinesische Neujahrsfest stand vor der Tür, die größte Völkerwanderung der Welt, die einmal im Jahr in China stattfindet. Kinder besuchen ihre Eltern, die teilweise tausende von Kilometern entfernt wohnen. Familien machen Urlaub in und außerhalb des Landes. Halb China – sprich über 500 Millionen Menschen – sind auf den Beinen und reisen für ein paar Wochen kreuz und quer durchs Land.

Mein Mann und ich hatten Urlaub in Thailand gebucht, eine Woche wollten wir von Nord- nach Südvietnam reisen, danach uns mit unserer Tochter, die in Deutschland studiert, in NhaTrang zum Strandurlaub treffen. Unser Sohn, so der Plan, wollte zu Hause bleiben und sich in Shanghai um seine Projektarbeit für die Schule kümmern.

Gesichtsmasken werden über Nacht zur Mangelware

Als wir am 24. Januar in Shanghai Pudong am Flughafen ankamen, wohlweislich mit einer Gesichtsmaske vor dem Mund, staunten wir nicht schlecht, da nahezu alle anderen Reisenden ebenfalls von heute auf morgen zu dieser Maske gegriffen hatten. Die paar wenigen, die keine trugen, fielen regelrecht auf – vornehmlich Ausländer.

In Vietnam angekommen, wo es keine Erkrankungen, wohl aber extrem viele Chinesen zu der Zeit gab, spitzte sich die Lage von Tag zu Tag zu. In HoiAn, einer Touristenhochburg, vermehrten sich die Träger von Gesichtsmasken über Nacht so sehr, dass diese bald schon ausverkauft waren.

Die Nachricht erreichte uns, dass die Schulen chinaweit bis auf Weiteres geschlossen blieben und auf Onlineunterricht umstellten, was uns zu dem Zeitpunkt sehr irritierte, gab es doch in Shanghai nur wenige Krankheitsfälle. Wir disponierten unsere Reisepläne um und veranlassten, dass unser Sohn nun zusammen mit unserer Tochter nach Vietnam kommen sollte.

Ausnahmezustand: China hält den Atem an

Doch die Ereignisse überschlugen sich. Plötzlich zog Vietnam die Reißleine und schränkte seinen Flugverkehr drastisch ein. Zeitgleich stellten die Lufthansa und andere Airlines ihre Flüge nach China ein. Ich rief unsere Tochter, die wir auf China Airlines gebucht hatten, am Tag ihrer Abreise an. Ich erinnere mich noch genau, sie stand schon am Check-in-Schalter in Frankfurt, als sie mein Anruf erreichte. Ich wollte sie fragen, ob sie wirklich kommen wolle, da der Weiterflug von Shanghai nach Vietnam gecancelt worden war. Dass in Shanghai inzwischen alle Restaurants, Kinos, Parks usw. – sprich das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen war und alles geschlossen hatte, war ihr bereits bekannt. – Sie kam trotzdem.

Unser Flug zurück nach Shanghai fiel aus und mit ihm 90 % aller Flugverbindungen von Vietnam nach China. Im Flughafen von HoChiMing City, von wo aus wir einen Rückflug ergattern konnten, nahm uns die Fluggesellschaft nur mit, weil wir ein Residential Permit, also eine langfristige Aufenthaltsberechtigung für China hatten. Unsere Tochter, wäre sie mit uns mitgeflogen, wäre in Vietnam gestrandet.

Ganze Straßenzüge werden desinfiziert

Zurück in Shanghai waren wir erst einmal ein wenig frustriert, fiel doch der 3-wöchige Urlaub meines Mannes nun größtenteils ins Wasser. An ein normales Leben war nicht mehr zu denken. Shanghai glich einer Geisterstadt, kaum ein Auto war auf den sonst so viel befahrenen Straßen zu sehen, kaum ein Fußgänger, der spazieren ging. Wen man sah, trug Maske. Wo immer man hinging, wurde Fieber gemessen, ohne Maske durfte man nirgendwo mehr rein. Mülleimer, ja ganze Straßenzüge wurden desinfiziert. Die Zahl der Infizierten und Toten stieg in China täglich, auch wenn es in Anbetracht von 1,3 Milliarden Menschen doch sehr wenig erschien, wurde es zunehmend beängstigender.

Wir hatten Sorge, dass unsere Tochter zurück in Deutschland, eventuell in ärztliche Quarantäne geraten würde. Es wurden bereits viele Deutsche aus Hubei ausgeflogen. Um dem zu entgehen, reiste sie nach 10 Tagen verfrüht wieder ab.

In Quarantäne

Unser Compound (ein Wohntrakt aus mehreren Hochhäusern) verschärfte derweil seine Sicherheitsmaßnamen. Alle Bewohner mussten nachweisen, dass sie die letzten 14 Tage in Shanghai gewesen waren, wenn nicht, wurde Selbstquarantäne verordnet. Die Eingänge des Compounds wurden dazu bis auf den Haupteingang geschlossen. Besucher, Freunde, Lieferdienste, Gärtner, Putzfrauen – keiner durfte mehr rein, der hier nicht wohnte. Wir bekamen, da unsere 14 Tage noch nicht ganz vorbei waren, einen roten Passierschein, der dazu berechtigte, dass eine Person der Familie den Compound zum Einkaufen verlassen durfte. Beim Eintreten wurde Fieber gemessen. Ohne Gesichtsmaske ging dabei nichts mehr. Ein paar Tage später bekamen wir jeder einen weißen Passierschein, nun durften wir uns zum Glück wieder frei bewegen. Die meisten Firmen und Geschäfte sowie alle Schulen, Parks, Fitnessstudios usw. blieben jedoch geschlossen.

Onlinelearning & Homeoffice

Nach zwei Wochen reiste mein Mann nach Zhengzhou ab, wo er arbeitet. Der Alltag begann für uns wieder, allerdings anders als gewohnt. Da Zhengzhou zur Provinz Henan gehört, musste er dort nun nochmals in Quarantäne, dieses Mal für zwei Wochen im Hotel, wo er wohnte und nun sein Homeoffice einrichtete. Für meinen Sohn begann nun schon die dritte Woche Onlinelearning, was ihn zunehmend langweilte, spielte sich doch sein ganzes soziales Leben in der Schule und darum herum ab: Sportveranstaltungen, Freunde treffen, Tennisstunden.

Ich war es gewohnt im Homeoffice zu arbeiten und war froher denn je, um diese Möglichkeit, weiterhin arbeiten zu können. Ja, ich arbeitete weitaus mehr als zuvor. Treffen, selbst in kleineren Gruppen, waren kaum mehr irgendwo möglich. Ab und zu traf ich mich dennoch mit einer Freundin in einem Café oder zum Spazierengehen. Ich vermisste jetzt vor allem meinen netten Chinesisch-Unterricht und meine Mitschüler. Ich entschloss mich, den Unterricht online weiterzuführen, um nicht alles Gelernte wieder zu vergessen.

Stille als neue Chance

Generell stellte ich fest, dass die uns auferlegte Stille, dieses sich mehr mit sich selbst beschäftigen können, dieses nicht dauernd abgelenkt sein durch das turbulente Leben, das eine Stadt wie Shanghai normalerweise zu bieten hat, ja, das diese Situation eine ganz neue Erfahrung war: die Freiheit, das zu tun, wozu man sonst nicht kommt! Ich fing an, Bücher über China zu lesen, mich um das Aufsetzen einer Webseite für eine Freundin zu kümmern, mit meinem Sohn zu kochen und Fahrrad zufahren und vieles mehr. Ich fing an, die Situation auch als Chance, ja als willkommene Pause in meinem sonst doch eher stressigen Alltag wahrzunehmen. Mehr noch, ich stellte fest, dass viel Stress selbst gemacht war und spürte viel deutlicher als sonst, ob Bekannte und Freunde mir wirklich wichtig waren oder eher der Zerstreuung dienten. Je länger die Situation anhielt, umso klarer wurde dieses Bild.

Visum-Verlängerung

Inzwischen war es Frühling geworden in Shanghai und unser Termin zur Visumerneuerung rückte näher. Das bedeutet für unsere Familie einmal im Jahr nach Zhengzhou zu reisen und dort einige Zeit zu verbringen, um dann, eigentlich nach 30 Tagen, das Anrecht auf eine Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Dieses Mal war alles noch schwieriger als sonst. Die Polizei bestand tatsächlich das erste Mal auf diesen 30 Tagen. Allein schon, wo wir wohnen sollten, war dabei lange Zeit unklar, da es den Hotels wegen der Corona-Krise nicht erlaubt war, Menschen von außerhalb der Provinz aufzunehmen. Schließlich mietete die Firma meines Mannes eine firmeneigene möblierte Wohnung an, die wir beziehen konnten.

Wieder in Quarantäne

Dies hieß für uns jedoch erneute Quarantäne, dieses Mal sogar verschärft. Man würde uns nicht erlauben, die Wohnung zu verlassen, die Wohnungstür würde von außen versiegelt, das Essen sollte angeliefert werden. Erst war ich geschockt, ich hatte jedoch eine Woche Zeit, mich an diesen Gedanken im Voraus zu gewöhnen und mich darauf vorzubereiten. Das half sehr. Ich ging noch ein paar Mal ausführlich spazieren (immer brav mit Maske) und packte meinen Koffer entsprechend. Die beste Idee hatte dabei unser Sohn, der Tischtennisschläger einpackte.

Nun sind wir hier erst einmal gestrandet, spielen täglich auf unserer runden Esstischplatte Pingpong und haben viel Spaß dabei. Schön ist, dass wir uns als Familie nach drei Wochen mal wieder intensiv sehen können, was zuvor wegen der Quarantäneverordnungen nicht möglich war. Wann die Schule wieder aufmachen wird, steht noch in den Sternen. Das Auswärtige Amt schrieb letzte Woche dazu, dass die chinesische Regierung plant, die Schulen als letztes zu öffnen. Wir werden drei Wochen vorher darüber informiert.

Besorgter Blick nach Deutschland

Seit ein paar Tagen nun hören wir mit Interesse und manches Mal auch mit ein wenig Verwunderung, die deutschen Nachrichten. Hier scheint die Freiheit des einzelnen über der sozialen Verantwortung der Gemeinschaft zu stehen. Ein Versammlungsverbot von Gruppen über tausend Personen – wie wenig zielführend, ja leichtsinnig ist das denn? Allein, wie lange es gedauert hat, bis Deutschland nun endlich strenge Maßnahmen ergreift! Wo der Staat doch wochenlang von China, Südkorea, Japan und dem nahegelegenen Italien beobachten konnte, was vor sich geht! Erst diese Woche wurden die Schulen geschlossen und der Flugverkehr stark eingeschränkt. Hätten sie das nicht schon vor einer Woche verordnen können?

Zusammenhalt und Hoffnung

Auch in Europa wird die Pandemie vor allem die Armen, Alten und Schwachen sowie die Selbständigen treffen. Ich will nicht wissen, wie viele Menschen in China durch den Virus ihren Job verlieren, ihr Restaurant, ihre Schneiderei oder ihren Handwerksladen nicht aufrechterhalten können. In Deutschland habe ich gehört, werden die Essenstafeln für die Armen nicht mehr weitergeführt und einigen unserer deutschen Freunde, die selbständig sind, sind innerhalb einer Woche nahezu alle Aufträge weggebrochen. Das alles macht mich sehr betroffen und ich bin froh, dass unsere Familie mit einem blauen Auge davonzukommen scheint.

Im Mai würde ich gerne nach Deutschland fliegen. Unser jährliches Firmenmeeting steht an, meine Schwester und ich wollen wandern gehen, meine Tochter genauso wie meine Eltern freuen sich darauf, mich wiederzusehen. Sind sie doch zurzeit recht allein in ihrer Wohnung. Nun ja, ob das klappen wird? Ich glaube eher nicht.

Hoffen wir, dass wir alle zusammenhalten und uns gegenseitig helfen können. Dann wird schon alles gut werden. Wir jedenfalls, haben schon viel Unterstützung von Freunden in China als auch in Deutschland erfahren. Und das ist ein so gutes Gefühl, dass uns keiner nehmen kann und uns stärken wird – auch in den nächsten Wochen, die sicherlich noch schwierig werden für alle.

03-2020

Autorin: Heike Lenz

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