Immer mehr Menschen leiden unter umweltbedingten Krankheiten. Müdigkeit, Kopfschmerzen und Depressionen sind nur einige Beschwerden, die durch Schadstoffe in der Umwelt ausgelöst werden. MCS-Kranke (MCS = multiple chemical sensitivity) reagieren weitaus empfindlicher auf bestimmte Chemikalien als Gesunde.
Umweltmedizin – MCS interdisziplinär behandeln
Immer mehr Menschen leiden unter umweltbedingten Krankheiten. Müdigkeit, Kopfschmerzen und Depressionen sind nur einige Beschwerden, die durch Schadstoffe in der Umwelt ausgelöst werden. MCS-Kranke (MCS = multiple chemical sensitivity) reagieren weitaus empfindlicher auf bestimmte Chemikalien als Gesunde. Bei ihnen lösen Chemikalien teilweise schon Beschwerden in derart niedrigen Konzentrationen aus, dass sie technisch kaum nachweisbar sind. Oft ahnen Betroffene daher gar nicht, dass sie unter MCS leiden. Und auch aus ärztlicher Sich gestaltet sich die MCS-Diagnose oft ausgesprochen schwierig. Prof. Dr. Hüttemann zeigte auf der 44. Medizinischen Woche, wie die Diagnose einer MCS durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte dennoch gelingen kann.
Der Leidensdruck von MCS-Patienten ist oft enorm. Immer wieder werden sie von verschiedenen Beschwerden geplagt, die z.T. nur sehr schwer zuzuordnen sind. Dabei kann sich eine zunächst auf einzelne Stoffe beschränkte Empfindlichkeit im Laufe einer MCS-Karriere auf immer weitere Stoffe ausdehnen. Daher spricht man auch von einer „multiplen“ Empfindlichkeit gegenüber Umweltbelastungen. Die niedrige Schwelle, bei der MCS-Kranke auf Stoffe reagieren und die Vielfalt der Stoffe, gegenüber sie empfindlich sind, machen Diagnose und Therapie zu einer echten Herausforderung.
Selbst unter Ärzten ist MCS noch unzureichend bekannt. Und Spezialisten zu MCS sind schwer zu finden. Prof. Hüttemann, gehört zu den Ärzten, die sich näher mit dem Thema MCS beschäftigt haben. „Umweltbelastungen und Umwelterkrankungen“ gehören zu den Forschungsschwerpunkten von Prof. Hüttemann, der in den Fächern „Innere Medizin“ und „Pneumologie“ habilitiert hat. Auf der Medizinischen Woche in Baden-Baden ging er insbesondere folgenden Fragen nach:
- Was ist MCS?
- Welche Symptome verursacht MCS?
- Wodurch wird man MCS-krank?
- Wie kann die Diagnose einer MCS gelingen?
Definition
MCS steht für „multiple chemical sensitivity“, zu Deutsch: Multiple Chemikalien Sensibilisierung. Nach der Definition von Cullen (1992) beschreibt MCS eine „dauernde Überempfindlichkeit auf Schadstoffe (Chemikalien). Die Wirkstoffkonzentrationen (Expositionen) liegen weit unter denen, die in der übrigen Bevölkerung – auch arbeitsplatzbezogen – toxische Effekte auslösen.“
Das bedeutet, dass für MCS-Kranke die „normalen“ Grenzwerte für Chemikalien nicht ausreichen. Schon unterhalb von Chemikalienkonzentrationen, die von anderen Menschen oft problemlos toleriert werden, können bei MCS-Kranken Beschwerden auftreten.
Frauen sind von MCS häufiger betroffen als Männer. Betrachtet man die Altersverteilung, so nimmt MCS bei Menschen über 30 deutlich zu. Die meisten MCS-Kranken findet man in der Altersmitte, zwischen 50 und 59 Jahren.
Deutliche Unterschiede gibt es bei den betroffenen Berufsgruppen. Mit Abstand am häufigsten trifft MCS Büroangestellte, aber auch Techniker, Lehrer und Hausleute [nach Maschewski, W., 1998]. Auf den ersten Blick erstaunt, dass diese Berufsgruppen deutlich häufiger unter MCS leiden als z.B. Landwirte, Lackierer, Drucker oder Chemiearbeiter, bei denen man eher eine Exposition gegenüber giftigen Stoffen erwarten würde. Als mögliche Faktoren für das häufige Auftreten von MCS bei Büroangestellten werden Belastungen der Räume, z.B. durch Laserdrucker, aber auch psychische Faktoren, wie berufliche Unzufriedenheit diskutiert.
Symptome
Die meisten Symptome von MCS-Kranken liegen im Kopfbereich. Am häufigsten werden die folgenden Beschwerden bei MSC genannt:
- Tagesmüdigkeit (95 %)
- Schnupfen (66 %)
- Kopfschmerzen (56 %)
- Hörverlust (56 %)
- Magen-Darm-Störungen (44 %)
- Muskelschmerzen (60 %)
- Depressionen (60 %)
Auffällig ist dabei, dass viele MCS-Kranke unter Erschöpfung und somatoformen Störungen, d.h. körperlichen Störungen, für die es keinen ausreichenden körperlichen Befund gibt, klagen.
Anhand von Befunden verschiedener Umweltambulanzen in Deutschland zeigte Hüttemann, dass fast die Hälfte aller betrachteten 774 Umweltkranken zugleich psychische Störungen zeigten. Hüttemann wies an dieser Stelle auf die enorme Belastung der Patienten durch MCS hin. MCS bedeute für den Patienten enormen Stress.
Wodurch wird man MCS-krank?
Wenn Räume krank machen: das Sick-Building-Syndrom
Nicht einwandfreie Gebäude können krank machen. Bekannt geworden ist dies auch als Sick-Building-Syndrom (SBS). Die Beschwerden können durch die verschiedensten Stoffe ausgelöst werden:
- Allergene (z.B. Schimmelpilze, die auch Krebs im Bereich des Magen-Darm-Traktes begünstigen können)
- Fein- und Schwebstäube (insb. lungengängige Stäube mit solche mit einem PM < 2,5)
- mikrobielle Erreger (v.a. Legionella pneumophila; Auslöser von 70 % aller im Krankenhaus erworbenen Lungenentzündungen!)
- Gase (z.B. Formaldehyd)
- Dämpfe, Luftfeuchtigkeit (in gut abgedichteten Häusern durch eine niedrige Luftwechselrate begünstigt)
- Aerosole, d.h. flüssige oder feste Schwebeteilchen (z.B. Luftbefeuchter, lt. Hüttemann „Keim- und Allergenverschleuderungsanlagen“)
- Geruchsstoffe
Diagnosestellung bei MCS
Vor jeder Behandlung steht zunächst eine gesicherte Diagnose. MCS erfordert mehr als die meisten anderen Erkrankungen ein interdisziplinäres Vorgehen bei der Diagnosestellung und bei der Therapie. Zunächst einmal gilt es festzustellen, welcher Gesundheitsschaden vorhanden ist, bzw. welche Beschwerden bei dem jeweiligen Patienten vorliegen.
Am Anfang jeder Untersuchung eins MCS-Patienten sollte selbstverständlich seine ausführliche Befragung (Anamnese) stehen. Dadurch können wertvolle Hinweise auf die Krankheitsursache, die individuelle Exposition gegenüber möglichen Belastungsfaktoren sowie Substanzen, auf die der Patient besonders empfindlich reagiert gewonnen werden. Gestützt durch weitere Untersuchungen gilt es, Expositionen herauszufinden und diese medizinisch zu bewerten. Vor allem geht es darum, herauszufinden, welche Exposition(en) ursächlich für die Beschwerden des MCS-Patienten verantwortlich ist (sind).
Zur Diagnosestellung bei MCS gehören auf jeden Fall eine klassische internistische und neurologische Untersuchung. Hierzu gehören ein Elektroenzephalogramm (EEG) zur Erfassung der Hirnaktivität und die Messung peripherer Nervenleitgeschwindigkeiten. Zudem können verschiedene bildgebende Verfahren wie die Computertomografie (CT) des Kopfes oder die Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) zum Einsatz kommen.
Bevor die Diagnose MCS gestellt wird, muss gesichert sein, dass nicht andere Grunderkrankungen für die Beschwerden verantwortlich sind (sog. Differenzialdiagnose). Dafür sollten die verschiedensten Fachrichtungen einbezogen werden.
Differenzialdiagnose bei MCS zum Ausschluss anderer Grunderkrankungen
Fachrichtung | Untersuchung auf |
---|---|
Innere Medizin | Autoimmunerkrankungen, Tumore |
Psychiatrie | Depression, die auf einer veränderten Stoffwechsellage im Gehirn basiert (sog. endogene Depression) |
Neurologie | Erkrankungen von Gehirn und Nerven, wie z.B. Polyneuropathie |
HNO | Hörschaden, Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis), Tinnitus |
Pneumologie (Lungenheilkunde) | obstruktive Schlafapnoe, bei der es durch entspannte Muskeln im Bereich der oberen Atemwege während des Schlafs zu Atemstillständen kommt. Damit verbunden sind in der Regel Schlafstörungen und daraus resultierende Müdigkeit am Tage |
Allergologie | Allergien auf Nahrungsmittel oder Bestandteile der Raumluft |
Zahnheilkunde | Funktionsstörungen des Kiefergelenks |
Weitere Fachrichtungen, die bei der Diagnose einer MCS eine Rolle spielen sind die Toxikologie sowie die Arbeits- und Sozialmedizin.
Hüttemann zog das Fazit, dass MCS durch einen Therapeuten alleine weder diagnostiziert noch behandelt werden kann.