Pressemitteilung: Berlin – 13. Juni 2010, offener Brief an Prof. Dr. Lauterbach (SPD) zu seinem Vorschlag, die Erstattung homöopathischer Behandlungen verbieten zu lassen.
Ein offener Brief an Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), nachrichtlich Jens Spahn (CDU/CSU), von Cornelia Bajic und Curt Kösters, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte.
Sehr geehrter Herr Professor Lauterbach,
als Ihren Beitrag zur Sanierung des angeschlagenen deutschen Gesundheitswesens, lassen Sie öffentlich verbreiten, dass den Krankenkassen die Erstattung homöopathischer Behandlungen verboten werden soll.
Nun sind wir angesichts der Tatsache, dass die Ausgaben für homöopathische Behandlungen inklusive Arzneimittel etwa 0,003 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen ausmachen, nicht vollständig davon überzeugt, dass dieser Schritt das Gesundheitswesen retten wird, haben aber durchaus Respekt vor energischem Handeln – selbst wenn es im Einzelfall wie Aktionismus wirkt.
Besser argumentiert es sich jedoch auf informierter Grundlage. Selbst wenn man anderer Meinung ist, gehört es zu den guten Gepflogenheiten einer demokratischen Kultur, sich die Argumente der anderen Seite zunächst einmal anzuhören.
Wir haben uns vor einigen Monaten um einen Gesprächstermin mit Ihnen bemüht und leider keinen erhalten.
Wir hätten Ihnen dann gerne dargelegt, dass
- es sehr wohl Doppelblind-Studien gibt, die eine Wirkung der Homöopathie belegen. (z.B. Frass et al. zur Behandlung von Komapatienten auf einer Intensivstation)
- die Metaanalyse von Shang et al. methodisch angreifbar ist und im Übrigen auf grundsätzlich falschen Annahmen beruht
- die Versorgungsforschung zeigt, dass die Homöopathie in der Praxis effektiv und kostengünstig ist. (Charité-Studie, PEK Schweiz)
Dass die Homöopathie in der Praxis effektiv und kostengünstig ist, liegt unseres Erachtens daran, dass
- 1. Patienten unter einer homöopathischen Behandlung gesund werden, und damit effektiv weniger Kosten verursachen
- 2. homöopathische Mittel preisgünstiger sind als konventionelle Pharmaka
- 3. die deutlich längere Anamnese auch einen besseren Überblick über die klinische Situation gibt. Effektiv werden dadurch Kosten für technische und Labordiagnostik gespart.
Aber das ist nicht nur unsere Wahrnehmung. Die Effektivität der homöopathischen Behandlung ist in der Versorgungsforschung unumstritten; dies auf den Placebo-Effekt zu verkürzen, wäre gleichbedeutend mit der Feststellung, dass große Teile der konventionellen Medizin nicht effektiver sind als ein Placebo.
Angesichts Ihres beruflichen Hintergrundes in der Epidemiologie und Gesundheitsökonomie ist Ihnen gewiss bekannt, dass
- große Teile der konventionellen Medizin über keine Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit verfügen – nur hinsichtlich der Wirkung (nur Surrogatparameter, keine harten Endpunkte wie Mortalität)
- wenn überhaupt eine Evidenz vorliegt, dann nur für den Idealfall der Monotherapie und nicht für die Praxisrealität der Polypharmakotherapie.
Wie stellen Sie sich vor diesem Hintergrund eine auf Evidenz basierende Polypharmakotherapie vor? Fordern Sie auch – Ihren Gedanken konsequent zu Ende gedacht –, dass eine Polypharmakotherapie zulasten der gesetzlichen Krankenkassen nur noch in Form von standardisierten Behandlungsprotokollen gestattet ist, wenn diese Protokolle jeweils als Ganzes in Doppelblindstudien anhand harter Endpunkte auf ihre Wirksamkeit untersucht sind?
Ein verführerisches Szenario sicherlich: Die Arzneikosten wären damit schlagartig auf einen Bruchteil reduziert.
Wir geben allerdings zu bedenken, dass Sie damit effektiv die Zweiklassen-Medizin vorantreiben. Patienten, die sich das leisten können, werden sich auch weiterhin eine individuelle Therapieentscheidung ihrer Ärzte gönnen.
Das gilt übrigens auch für die Homöopathie. Es ist nicht so, dass die Patienten Homöopathie für effektiv halten, weil die Krankenkassen das erstatten; es ist vielmehr deutlich umgekehrt, dass die Krankenkassen homöopathische Behandlungen erstatten, weil die Patienten das wünschen. Würde die Homöopathie aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen, hätten die Ärzte eine etwas kürzere Wartezeit und könnten nach GOÄ abrechnen. Den Schaden hätten die Patienten, die ihre Pflichtversicherungsbeiträge zahlen und sich fragen, warum die Therapie ihrer Wahl nicht mehr erstattungsfähig ist.
Das Instrument der Sonderverträge wurde von einem SPD-geführten
Gesundheitsministerium in das Gesundheitswesen eingebracht. Das war ein marktwirtschaftliches Instrument mit dem erkennbaren Ziel, Bewegung in die erstarrten Strukturen des Gesundheitssystems zu bringen. Experimente sollten ermöglicht werden, Ideen und Therapiemöglichkeiten erprobt werden in freier Wahl der Vertragspartner.
Es muss Ihnen ja nicht jedes einzelne Ergebnis gefallen. Vielleicht sollten Sie sich aber die Frage stellen, ob das sozialpolitische Instrumentarium des 19. Jahrhunderts den Herausforderungen der Medizin des 21. Jahrhunderts gewachsen ist.
Ebenso dürfen Sie sich natürlich auch gerne die Frage stellen, ob eine Medizin des 19. Jahrhunderts diesen Herausforderungen gewachsen ist. Wir sind da ganz zuversichtlich. Der Trend geht zu einer individualisierten Medizin, auch in der konventionellen Therapie. Jeder Patient hat seine eigene Krankheit – eine Idee, die, mit Verlaub gesagt, homöopathischen Ärzten schon seit 200 Jahren vertraut ist. Die Kollegen werden in Bälde feststellen, dass sie den gleichen epistemologischen Problemen gegenüberstehen, die für jede Art von individualisierter Therapie gelten.
Wir würden uns über ein Treffen zu einem offenen Meinungsaustausch nach wie vor freuen. Immerhin scheint die Homöopathie Ihrer Ansicht nach relevant für die Gesundheit des deutschen Gesundheitswesens zu sein.
Reden schadet (fast) nie. Wir können uns gerne über die Organisation und Finanzierung einer ergebnisoffenen Homöopathie-Forschung unterhalten, die wir begrüßen. Sie könnten das Ziel haben, herauszufinden, warum diese Placebos so regelhaft erfolgreich funktionieren – wir würden gerne verstehen, wie die substanzspezifische Wirkung eigentlich funktioniert. Das wäre dann praktizierter Wissenschaftspluralismus – eine schöne Vorstellung.
Cornelia Bajic Curt Kösters
Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte
Weitere Informationen zur Homöopathie und zur aktuellen Debatte unter www.welt-der-homoeopathie.de
Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte, Reinhardtstraße 37, 10117 Berlin, Tel. 030-3259734-11, Fax 030-3259734-19, presse@dzvhae.de, www.welt-der-homoeopathie.de