Kommentar zur Masern-Impfpflicht 

"Masern-Impfung gern – aber keine Impfpflicht!", so könnte das Fazit von Nadja Dzierma lauten. Weder in offiziellen Zahlen noch in ihrem Beruf als Mütterpflegerin und Doula kann sie Gründe für eine Impfpflicht gegen Masern entdecken. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen und fragt sich, warum überhaupt so heftig für eine Impfpflicht gestritten wird.

 

Gegen Masern impfen ist wichtig, aber eine Impfpflicht brauchen wir nicht

(15.05.2019) Ich bin Mütterpflegerin, Doula (Geburtsbegleiterin) und Kursleiterin. Seit 13 Jahren arbeite ich mit Ärzten, Hebammen und Heilpraktikern. Seit 2006 habe ich Tausende Berliner Schwangere und Mütter begleitet. Eine "Impfmüdigkeit" ist mir allerdings nicht begegnet, genauso wenig wie sogenannte "Impfgegner" – ganz im Gegenteil. Die jungen Familien entscheiden sich zwanglos für die empfohlenen Impfungen. Hin und wieder gibt es Kinder, die erst ab dem ersten Lebensjahr geimpft werden, ab und zu lassen sich Familien von Ihrem Kinderarzt einen reduzierten, individuellen Impfplan erstellen. Aber sie lehnen die Impfungen keineswegs ab. Auch die Hebammen, mit denen ich arbeite, befürworten die Masern-Schutzimpfung, sie sind selbstverständlich gegen Masern geschützt und leisten enorm wichtige Arbeit. Eine "Notsituation" in Bezug auf das Impfen sehe ich nicht.

Die Zahlen der Experten sprechen für sich

Aus Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht hervor, dass die Zahl der "Impfgegner" stark abnimmt und die Zahl der "Impfbefürworter" in den letzten Jahren stetig steigt. Ein Vergleich der Masern-Erkrankungsraten der letzten Jahre: im Jahre 2002 gab es 4.656 Fälle, 2015 noch 2.465 Fälle, es folgten die Jahre 2016 mit 325, 2017 mit 929 und 2018 mit 543 Fällen (Quelle: RKI). Ein Anstieg und somit ein Grund für die Einführung einer Pflichtimpfung  gegen Masern ist nicht erkennbar. Die Erstimpfrate zum Masern-Schutz beträgt über 97,2 %, die immerhin schon einen mehrjährigen Schutz von ca. 90 % aufbaut, den zweiten Impf-Termin nehmen dann nur 92,8 % wahr. Wie kommt das?

Die gesundheitspolitische Situation in Berlin

Meist werden organisatorische Gründe genannt, die den Familien den Gang zum Arzt erschweren. Es gibt überfüllte Kinderarztpraxen mit stundenlangen Wartezeiten und horrenden Engpässen bei der Terminvergabe. Im Bezirk Pankow werden zugezogene Familien von Kinderarztpraxen abgewiesen, da es keine Kapazitäten für neue Patienten gibt.

Eltern, die bereit sind, ihr Kind gegen Masern impfen zu lassen und sich für einen individuellen Impfplan entschieden haben, wurde das Impfen schwerer gemacht, da seit 2017 auf dem deutschen Markt leider kein Einzelimpfstoff zur Masern-Impfung mehr auf dem Markt ist. All dies ist der Bundesregierung seit vielen Jahren bekannt.

Meine Erfahrung als Mutter

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass von unserem Kinderarzt schon allein Fragen zu den Impfungen als gegnerisch und anmaßend empfunden und unzureichend beantwortet wurden – sicherlich auch aus Zeitmangel. Für eine ausführliche Impfberatung habe ich dann den Arzt gewechselt, musste diese Beratung aber selbst bezahlen, da als Kassenleistung für eine Impfberatung nur 5 Minuten berechnet werden können. Da gibt es natürlich keinen Raum, Fragende oder Unsichere in Ruhe, mit Vernunft und Sorgfalt zu überzeugen. Es wird eher Druck erzeugt.

Ein Blick auf andere Länder – in Finnland funktioniert es

Das Gesundheitswesen in Finnland macht es uns vor. Es gibt ein breites Netz zur Aufklärung, Impfungen werden gut organisiert, in Kinder und Jugend-Einrichtungen verabreicht, dadurch wird soziale Motivation erzeugt. Es gibt dort keine Impfpflicht und die Masern wurden tatsächlich ausgerottet. Das könnte auch bei uns funktionieren.

Übersehen wir auch nicht die Tatsache, dass gerade in Ländern wie Frankreich, Italien, Bulgarien, Polen oder Tschechien, die seit längerem eine Impfpflicht haben, ein Anstieg der Masernfälle zu beobachten ist. Selbst, wenn es, wie in diesen Ländern, hohe Strafen gibt, finden religiös orientierte oder sonstige Impfgegner Wege und bisher Bereitwillige entwickeln, aus menschenrechtlichen Gründen, Widerstände. Die Geschichte der DDR hat gezeigt, dass Zwang nie lange funktionieren kann, der Mensch braucht wenigstens das Gefühl von Freiheit.

Polarisierung in den Medien

Was mich an der momentanen "Impfpflicht-Debatte" stört, ist die enorme Polarisierung, wie sie in so gut wie allen Medien zu beobachten ist. Auf der einen Seite stehen die "Impfbefürworter", meist Fachleute, Ärzte, Journalisten und Politiker. Auf der anderen Seite stehen "spirituelle Spinner", die die Masern verharmlosen oder "ahnungslose Heilpraktiker" mit unreifen Argumenten. Der Beruf des Heilpraktikers wird ungerechtfertigt diskreditiert. Das geht meines Erachtens an der Wirklichkeit vorbei und gibt ein stark verzerrtes Bild wieder.

So gibt es eine ganze Reihe von Fachleuten und Kinderärzten, die eine Impfung gegen Masern empfehlen und verabreichen, aber dennoch eine Impfpflicht aus sehr verantwortungsvollen, guten Gründen ablehnen. Zu ihnen gehören zum Beispiel die "Ärzte für eine freie Impfentscheidung", die wichtige Argumente für ihre Petition haben, die Jede(r) lesen und unterschreiben kann. Das hat nichts mit "Impfgegnern" zu tun. Diese Ärzte befürworten das Impfen gegen Masern, lehnen aber eine Impfpflicht ab.

"Von der WHO empfohlen …"

Oft lesen wir, "... von der WHO empfohlen …". Das klingt seriös. Können wir also blind vertrauen?
Schauen wir  kurz auf den Skandal der Vogel- und Schweinegrippe zurück. Alle größeren und kleinen Zeitungen berichteten damals über Millionengewinne für die Pharmaindustrie durch Impfstoffe, eine medienübergreifende Angst-Kampagne und über die manipulativen, korrupten Machenschaften von einigen WHO-Mitgliedern und so weiter. Sie können es nachlesen.

Jetzt, 2019, soll sich alles schlagartig geändert haben. Eine Angst-Welle vor den "Masern" verbreitet sich, eine einzigartig einseitige Berichterstattung macht die Runde. Alle Argumente, die 2010 noch galten, sind vergessen.

Die WHO scheint rehabilitiert, es ist viel Gras darüber gewachsen. Wir vertrauen, wenn Dr. XY im Fernsehen überzeugend mitteilt, an Impfungen verdiene die Pharma-Industrie kaum und die WHO warnt, Masern wären auf dem Vormarsch. Wir glauben es, 2010 ist lange her. Es wird quasi plötzlich nur noch zum Wohl der Gesundheit und reinen Herzens geforscht.

Mein gesunder Menschenverstand meldet sich:
Natürlich ist es eine Errungenschaft, dass es Polio und Pocken in Deutschland nicht mehr gibt, auch eine Masern-Impfung macht Sinn. Das Ziel ist doch aber, die Impfquoten bezüglich der Masern zu erhöhen. Fraglich ist, ob Zwang mit Strafandrohung der Weg dorthin ist.

Wem nützt die überzogene Impfpflicht-Debatte?

Jens Spahn, ehemals eng mit der Pharmaindustrie verwoben, ist jetzt Deutschlands Gesundheitsminister. Sein Ressort kämpft mit vielen Problemen: Krankenhäuser, Hebammen-Haftpflichtversicherung, Arztpraxen, Pflege, Organspenden etc. Es ist genug zu tun. Die meisten Themen sind hochgradig komplex. Effektive und zugleich bezahlbare Lösungen, die für alle Seiten tragbar sind, scheinen schwer erreichbar zu sein.

Anders beim Thema Impfen: Die große Mehrheit der Menschen ist zum Impfen positiv eingestellt. Damit eignet es sich bestens, um Sympathien auf sich zu ziehen. Endlich einer, der handelt, mögen viele denken. Fragt sich nur, zu wessen Wohl ...

Autorin: Nadja Dzierma – Förderung für Frauengesundheit und Kurse seit 2006, Doula, Mütterpflegerin, Texterin im Bereich Gesundheit, Ernährung und Kindererziehung

Kommentare
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  • Martha, am 14.11.2019
    Toll, die Masern-Impfpflicht kommt und den "Chip"gibt es gratis dazu!
  • Axel, am 17.07.2019
    Sehr gut geschrieben.

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