Krebstherapien lösen oft Nervenschädigungen aus, die bei einem Teil der Betroffenen zu bleibenden Beschwerden führen. Medikamente sind dagegen wirkungslos. Eine Sportwissenschaftlerin der Universität Basel zeigt nun mit einem interdisziplinären Team aus Deutschland, dass ein einfaches Training Nervenschäden vorbeugen kann.
(01.07.2024) Therapien gegen Krebs sind in den vergangenen Jahren immer besser geworden. Damit geht es nicht mehr allein ums blanke Überleben: Die Lebensqualität nach der Heilung gewinnt an Bedeutung.
Viele Krebsmedikamente, von der Chemotherapie bis zu modernen Immuntherapien, greifen neben den Tumorzellen leider auch die Nerven an. Bei manchen Therapien etwa mit Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloiden treten bei 70 bis 90 Prozent der Behandelten Beschwerden wie Schmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Taubheitsgefühle, Brennen oder Kribbeln auf. Diese Symptome können sehr belastend sein. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen verschwinden sie nach der Krebstherapie wieder, bei den anderen rund 50 Prozent bleiben sie jedoch bestehen. Fachleute sprechen von Chemotherapie-induzierter peripherer Neuropathie, kurz CIPN.
Ein Forschungsteam um die Sportwissenschaftlerin Dr. Fiona Streckmann von der Universität Basel und der Deutschen Sporthochschule Köln zeigt nun, dass ein spezifisches Training begleitend zur Krebstherapie den Nervenschäden in vielen Fällen vorbeugen kann. Von ihren Ergebnissen berichten die Forschenden im Fachjournal «JAMA Internal Medicine».
Trainieren parallel zur Chemo
Die Studie umfasste 158 Krebspatientinnen und -patienten, die eine Therapie mit Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloiden erhielten. Die Forschenden teilten sie per Zufallsprinzip in drei Gruppen ein: Eine Kontrollgruppe erhielt nur die Standardbetreuung. Zwei weitere Gruppen absolvierten während der Dauer der Chemotherapie zweimal die Woche Trainingseinheiten von 15 bis 30 Minuten. Die eine Trainingsgruppe führte Übungen durch, bei denen der Fokus vor allem auf Gleichgewichtsübungen auf zunehmend instabilem Untergrund lag. Die andere trainierte auf einer Vibrationsplatte.
Regelmässige Untersuchungen während der fünf folgenden Jahre zeigten, dass in der Kontrollgruppe etwa doppelt so viele Teilnehmende eine CIPN entwickelten wie in den beiden Trainingsgruppen. Anders ausgedrückt: Das begleitende Training während der Chemotherapie konnte das Auftreten von Nervenschäden um 50 bis 70 Prozent reduzieren. Zudem erhöhte es die subjektiv empfundene Lebensqualität, machte ungünstige Reduktionen der Krebsmedikamentendosis weniger notwendig und verringerte die Sterblichkeit bis zu fünf Jahre nach der Chemotherapie.
Am meisten profitierten die Teilnehmenden vom sensomotorischen Training, also dem Gleichgewichtstraining auf instabilem Untergrund.
Wirkungslose Medikamente
Es werde seit Jahren viel Geld investiert, um das Auftreten von CIPN zu reduzieren, erklärt Streckmann. «Diese Nebenwirkung hat einen direkten Einfluss auf die klinische Behandlung, etwa weil die eigentlich notwendigen Zyklen der Chemotherapie nicht mehr eingehalten werden, die Dosis der Krebsmedikamente reduziert oder die Therapie ganz abgebrochen werden muss.»
Trotz dieser Investitionen gibt es bisher keine wirksame pharmakologische Behandlung: Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Medikamente die Nervenschäden weder verhindern noch rückgängig machen können. Dennoch werden jüngsten Schätzungen zufolge in den USA 17'000 Dollar pro Patient und Jahr ausgegeben, um Chemotherapie-bedingte Nervenschäden zu behandeln. «Ärztinnen und Ärzte verschreiben trotz allem Medikamente, weil der Leidensdruck der Patientinnen und Patienten so gross ist», vermutet Streckmann.
Laufende Studie an Kinderspitälern
Im Gegensatz dazu lasse sich der positive Effekt des Trainings belegen und diese Behandlung sei im Vergleich sehr kostengünstig, betont die Sportwissenschaftlerin. Derzeit arbeitet sie mit ihrem Team an einem Leitfaden für Spitäler, um das Training als begleitende Massnahme zur Krebstherapie in die klinische Praxis zu bringen. Zudem läuft seit 2023 eine Studie an sechs Kinderspitälern in Deutschland und der Schweiz (PrepAIR), die das Training als Massnahme gegen CIPN auch in der Kinderonkologie prüfen soll.
«Das Potenzial körperlicher Aktivität wird enorm unterschätzt», sagt Fiona Streckmann. Sie hoffe sehr, dass mit Ergebnissen wie den jetzt veröffentlichten vermehrt Sporttherapeutinnen und -therapeuten auch an Spitälern beschäftigt werden, um dieses Potenzial besser auszuschöpfen.
Quelle: Dr. Angelika Jacobs, Universität Basel