Warum die meisten Rückenoperationen überflüssig sind 

Die meisten der jährlich 400.000 Rückenoperationen sind überflüssig, davon ist Rückenexperte Dr. Marianowicz überzeugt. Rückenoperationen sind häufig nicht nur vermeidbar - in 30–45 % der Fälle bringen sie noch nicht einmal den gewünschten Erfolg! Warum das so ist und welche Alternativen es gibt, erfahren Sie hier.
 

Rücken-OPs in Zahlen

In Deutschland wird zu schnell zum Skalpell gegriffen. Das belegt nun auch der AOK Krankenhaus-Report 2013. Und obwohl Kostenträgern und Politik bekannt ist, dass viele Operationen unnötig sind, steigen die Zahlen weiter. Wenn dieser Praxis nicht Einhalt geboten wird, droht dem deutschen Gesundheitssystem der Kollaps. Dabei gibt es – auch bei Rückenschmerzen –hinreichend Alternativen – und jeder kann selbst etwas für Körper und Geist tun.

Die Zahlen sind erschreckend: Um rund 1,5 Millionen Fälle hat allein 2011 die Zahl der stationären Behandlungen in der Bundesrepublik zugenommen. Damit wurde der Spitzenwert von insgesamt 18,3 Millionen Patienten in deutschen Krankenhäusern erreicht. Diese alarmierenden Zahlen aus dem AOK-Krankenhaus-Report 2013 schlugen Ende 2012 hohe Wellen. Sogar Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zeigte sich entrüstet und äußerte, gegen diese „Fehlentwicklung“ vorgehen zu wollen. Er warnte die Krankenhäuser davor, unnötig zu operieren. Genau das allerdings ist schon seit Jahren Praxis in deutschen Kliniken. Besonders auffällig ist der Anstieg der Zahlen bei den Wirbelsäulenoperationen, die sich laut AOK zwischen 2005 und 2010 mehr als verdoppelt haben. Rund 400.000 chirurgische Eingriffe an der Wirbelsäule pro Jahr zählen wir aktuell, dazu kommen rund 160.000 Bandscheibenoperationen. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass die meisten Rückenoperationen überflüssig sind, nur etwa jede fünfte Bandscheibenoperation ist tatsächlich medizinisch notwendig.

80 Prozent der Rückenoperationen sind überflüssig

In einer groß angelegten 10-Jahres-Studie der Harvard Medical School (Boston, USA)[1] wurden die Ergebnisse von operierten Patienten mit Spinalstenosen, das heißt Verengungen im Bereich des Wirbelkanals, und Bandscheibenvorfällen mit denen von konservativ behandelten verglichen – und dies ein, fünf, acht und zehn Jahre nach der Therapie. Insgesamt 507 Personen nahmen an der Studie teil. Im ersten bis vierten Jahr fühlten sich die operierten Patienten noch besser als ihre nichtoperierten Leidensgenossen. Spätestens nach acht bis zehn Jahren war das nicht mehr der Fall. 19 Prozent mussten sogar innerhalb der ersten fünf Jahre nochmals unter das Messer und wurden so zu „Wiederholungstätern“. Bezüglich der Schmerzen gab es im gesamten Verlauf der Untersuchung keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Diesen letzten Aspekt bestätigt eine weitere Studie: Im Rahmen der 2-Jahres-Studie des Leiden University Medical Center (Leiden, Niederlande)[2] wurden 283 Patienten untersucht, die seit sechs bis zwölf Wochen durch einen Bandscheibenvorfall bedingte Rückenschmerzen hatten. Auch hier wurde die eine Hälfte operiert, die andere konservativ behandelt. Beim Check nach ein und zwei Jahren waren die Schmerzen, die die operierten und die nichtoperierten Patienten auf der visuellen Schmerzskala angaben, gleich stark.

Wo liegen die wahren Gründe für die Operationen bei Rückenschmerzen?

Woran liegt es also, dass in Deutschland bei Rückenleiden vorschnell zum Skalpell gegriffen wird? Gerne wird diesbezüglich auf die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik verwiesen. Außerdem seien die medizinischen Behandlungsmethoden und Gerätschaften mittlerweile so modern, dass mehr Menschen geholfen werden kann. Es ist richtig: Wir werden heute älter und dementsprechend nehmen auch die Abnutzungserscheinungen zu. Die Hauptgründe für die enorme Zunahme an Operationen sind aber andere: Zum einen herrscht in Deutschland eine Überversorgung mit Krankenhausbetten und OP-Kapazitäten – diese müssen aus Kostengründen natürlich ausgeschöpft werden. Auf der anderen Seite haben wir ein unumstößliches Vertrauen in die hoch technologisierten und bis ins tiefste Detail gehenden bildgebenden Verfahren wie MRT und CT. Die Kernspintomographie ist die häufigste Argumentationshilfe für unnötige Operationen. Hier werden Angstszenarien aufgebaut, die dem Patienten keine andere Wahl lassen.

Eine Studie mit unerwartetem Resultat

Eine im Journal of Bone and Joint Surgery – bereits 1990 veröffentlichte – Studie des George Washington University Medical Center (Washington, USA)[3] ergab Überraschendes: Mittels bildgebender Verfahren wurden 67 Probanden überprüft. Drei Neuroradiologen haben unabhängig voneinander die Bilder interpretiert. Bei 28 Prozent aller Teilnehmer wurden erhebliche Abweichungen wie beispielsweise Bandscheibenvorfälle festgestellt. Bei den 20- bis 39-Jährigen und den 40- bis 59-Jährigen wiesen 20 Prozent die Anomalien, das heißt ungewöhnliche Veränderungen, auf, in der Gruppe der 60- bis 80-Jährigen sogar 57 Prozent. Bandscheiben-Vorwölbungen waren bei 54 Prozent der 59-Jährigen zu sehen, in der Gruppe der über 60-Jährigen waren 79 Prozent betroffen. Degenerierte, das heißt zurückgebildete Bandscheiben hatten von der ältesten Gruppe sogar 93 Prozent. Ab auf den Operationstisch? In Deutschland vermutlich ja. Aber: Kein einziger der 67 Probanden klagte über Schmerzen oder Beschwerden! Warum also behandeln – und dies auch noch mit einer Operation? Eine solche ist in den genannten Fällen medizinisch schlicht nicht gerechtfertigt.

Natur und Selbstheilungskraft sind wichtige Verbündete

Bevor die bildgebenden Verfahren derart scharfe Aufnahmen lieferten, war die Zahl der Operationen bei Rückenschmerzen wesentlich niedriger. Der Körper ist ein kleines Wunderwerk und durchaus eine Art „Naturheiler“. 90 Prozent der Rückenschmerzen, ob nun durch Bandscheibenvorfälle oder ähnliches hervorgerufen, klingen mit einer konservativen Therapie – sprich: ohne Operation – innerhalb von sechs bis zwölf Wochen ab. Da früher die Diagnose wesentlich länger brauchte als heute mit den Bildern, waren die Rückenschmerz-Patienten verkürzt gesagt schon wieder gesund, bevor überhaupt an eine Operation gedacht wurde. Das heißt nicht, dass der Mediziner den Patienten künftig sich selbst überlassen sollte. Es wäre schon ein erheblicher Fortschritt, wenn nicht das Bild behandelt würde, sondern das Individuum mit seinem konkreten Leiden. Schon aus einem 20-minütigen Gespräch mit dem Patienten lässt sich eine genauere Diagnose ableiten als aus sämtlichen Kernspin- und Röntgenaufnahmen zusammen. Und da der Schmerz – beziehungsweise seine subjektiv empfundene Intensität das Leiden verursacht, entscheidet auch er allein über die Wahl der Waffen.

In fünf sanften Stufen zur Beseitigung von Rückenleiden

Verfahren die für den Patienten mit weniger Risiko und für die Kassen mit weniger finanziellem Aufwand verbunden sind als Operationen, existieren tatsächlich. Ein auf der Basis von 30 Jahren orthopädischer Erfahrung entwickeltes, fünfstufiges Konzept zeigt in der täglichen Praxis, wie wir Rückenleiden auch ohne chirurgischen Eingriff beseitigen können. Am Anfang stehen sanfte Therapieformen wie Muskeltraining und Reiz- beziehungsweise Triggerpunkttherapie. Bei leichteren akuten Rückenproblemen wie Verspannungen und Blockaden können dabei auch rein pflanzliche Heilmittel Linderung bewirken. Auf Stufe zwei kommen dann Schmerzmittel und Entzündungshemmer bei Rückenschmerzen zum Einsatz. Daran anschließend stehen Mikrotherapien auf dem Programm. Der behandelnde Arzt legt einen Katheter, über den Medikamente in den Körper abgegeben werden können. Auf Stufe vier sind minimal-invasive Therapieformen vorgesehen. Unter Einsatz moderner Lasertechnologie lassen sich Teile der Bandscheibe beseitigen. Morsche Wirbelkörper werden mit Wirbelzement stabilisiert. Die stationäre Komplextherapie schließlich kombiniert die Methoden der ersten bis vierten Ebene. Zusätzliche Unterstützung erhalten die Rücken-Patienten im Rahmen einer psychosomatischen Betreuung – auch Faktoren wie Stress im Beruf oder privater Druck spielen eine erhebliche Rolle, wenn wir von Rückenleiden sprechen. Das Konzept funktioniert: Von rund 13.500 behandelten Patienten durchliefen rund 90 Prozent nur die beiden ersten Stufen des Behandlungsplans – ohne bleibende Beschwerden.

Nur bei Ausfallerscheinungen sollte operiert werden

Das bedeutet gleichzeitig: Eine Operation kommt bei Rückenleiden und Schäden an der Wirbelsäule wirklich nur dann in Betracht, wenn die interventionelle Schmerztherapie oder eine stationäre multimodale Komplextherapie nicht von Erfolg gekrönt sind. Alles andere ist gegenüber Patient und Versichertengemeinschaft verantwortungslos. Nur in sehr wenigen Fällen kommt der Mediziner am großen offenen Eingriff nicht vorbei: etwa wenn es sich um einen ungewöhnlich massiven Bandscheibenvorfall handelt und es bereits zu Störungen von Blase und Schließmuskel kommt – oder wenn Nerven schon so stark beeinträchtigt sind, dass es bereits zu Lähmungserscheinungen an den Gliedmaßen kommt. Jeder Patient, dem eine OP ans Herz gelegt wird, sollte allerdings unbedingt eine zweite, wenn nicht sogar noch eine dritte, Meinung einholen. Damit eine Operation erfolgreich ist, muss die Diagnose sehr genau sein und exakt ermittelt werden, welche Stelle im Körper den Schmerz tatsächlich verursacht. In Deutschland wird allzu oft nach dem Prinzip „viel hilft viel“ verfahren und eine große „Sanierung“ vorgenommen, die der Patient aber gar nicht benötigt.

Jeder kann Rückenschmerzen vorbeugen

Besser als jede Therapie ist Prävention. Das gilt erst recht für den natürlichen Rückenverschleiß. Drei Säulen stützen die körperliche Gesundheit – moderate Bewegung, ausgewogene Ernährung und möglichst viele Momente der Entspannung. Der harmonische Dreiklang dieser drei Elemente verlängert das Leben um bis zu zehn Jahre. Für den Rücken ist insbesondere die Bewegung wichtig, weil diese die Bandscheiben ausreichend mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgt. Es mag merkwürdig klingen, aber sogar bei leichten Schmerzen ist Bewegung – etwa 20-40 Minuten Krankengymnastik – der Ruheposition auf dem Sofa vorzuziehen. Im Übrigen gibt es natürlich Sportarten, die rückenfreundlich sind, wie Schwimmen oder Fahrradfahren in möglichst aufrechter Position. Auch Aerobic und Tanzen sind empfehlenswert. Lange Spaziergänge oder Nordic Walking sind besser als Jogging. Kritischer wird es bei Sportarten, die schnelle Drehungen oder abruptes Bremsen voraussetzen. Dazu gehören die Mannschaftsballsportarten oder auch Tennis, Golf oder Snowboardfahren. Generell gilt aber: Jede Form der Bewegung ist besser als der vollständige Verzicht darauf. Für „aktive“ Entspannung sorgen Autogenes Training, Shiatsu, Akupressur und Qigong. Gerade im Rahmen der Rehabilitation kommen daneben Elemente der traditionellen chinesischen Medizin zum Tragen. Hilfreich sind außerdem Akupunktur und verschiedene Ayurveda-Methoden.

Ohne Gegenmaßnahmen droht der Kollaps

Eine sehr hohe Anzahl von Operationen – insbesondere wenn wir von Eingriffen am Rücken sprechen – sind unnötig und führen schon jetzt zu einer kaum zu rechtfertigenden und milliardenschweren Mehrbelastung des deutschen Gesundheitssystems. Wenn nicht bald gegengesteuert wird, kann dieser überflüssige zusätzlich finanzielle Aufwand nicht mehr gestemmt werden. Das zu verhindern sind alle gefragt, Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen, Politik – und der einzelne selbst. Die permanente Aufklärungsarbeit hat mittlerweile einen Diskurs angestoßen und innerhalb der Gesellschaft eine Bewusstseinsschärfung bewirkt. Trotzdem sind die Bundesrepublik und ihr Gesundheitssystem noch weit von einer Entwarnung entfernt – denn noch steigen die Operationszahlen unvermindert weiter an.

  • [1] 10-Jahres-Studie der Harvard Medical School: „Long-term outcomes of surgical and nonsurgical management of sciatica secondary to a lumbar disc herniation: 10 year results from the maine lumbr spine study“ und„Long-term outcomes of surgical and nonsurgical managment of lumbar spinal stenosis: 8 to 10 year results from the maine lumbar spine study“; Spine (Phila Pa 1976), April 2005.
  • [2] Studie des Leiden University Medical Center: „Prolonged conservative care versus early surgery in patients with sciatica from lumbar disc herniation: cost utility analysis alsongside a randomised controlled trial“, British Medical Journal 2008, published 12 June 2008.
  • [3] Studie des George Washington University Medical Center: „Abnormal Magnetic-Resonance Scans of the Lumbar Spine in Asymptomatic Subjects“, The Journal of Bone and Joint Surgery (1990, 72), S. 403 bis 408.
Autor/en dieses Beitrages:
, FA. für Orthopädie aus München
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