Reizdarm-Syndrom - Hintergründe 

Prof. Dr. Mönnikes beschäftigt sich seit fast 20 Jahren schwerpunktmäßig mit dem Zusammenspiel zwischen Verdauungstrakt und Gehirn. Diese Verbindung ist bei funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen, zu denen auch das Reizdarm-Syndrom gehört, von besonderer Bedeutung.

 

Reizdarm-Syndrom: Neuro(bio)logische und psychologische Grundlagen

Prof. Dr. Mönnikes beschäftigt sich seit fast 20 Jahren schwerpunktmäßig mit dem Zusammenspiel zwischen Verdauungstrakt und Gehirn. Diese Verbindung ist bei funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen, zu denen auch das Reizdarm-Syndrom gehört, von besonderer Bedeutung. Schwerpunkt seines Vortrags zum Thema Reizdarm-Syndrom war entsprechend die Wechselwirkung von Psyche und Reizdarm-Syndrom.

Bei der 43. Medizinischen Woche wurden verschiedene Möglichkeiten zur Therapie des Reizdarm-Syndroms vorgestellt. Lesen Sie dazu:

Was passiert beim Reizdarm-Syndrom?

Die genauen Ursachen des Reizdarm-Syndroms sind bis heute nicht vollständig geklärt. Unter anderem scheinen genetische Veränderungen und Stress eine Rolle beim Reizdarm-Syndrom zu spielen. Besser bekannt ist, welche Veränderungen im Verdauungstrakt beim einem Reizdarm-Syndrom vorliegen.
So sind beim Reizdarm-Syndrom vor allem die Motorik, d.h. die Beweglichkeit, und die Sensitivität des Magen-Darm-Traktes gestört. Beim Reizdarm-Syndrom kann die Kontraktion des Darms erhöht oder erniedrigt sein. Zudem gibt es Reizdarm-Patienten mit einer gesteigerten Empfindlichkeit des Verdauungstraktes. Weiterhin gibt es Hinweise, dass bei einem Teil der Patienten mit Reizdarm-Syndrom kleine, mikroskopische Entzündungen (so genannte Mikroinflammationen) im Darm vorliegen. Diese können die Darmmotiliät und die Empfindlichkeit des Darms beeinflussen. Sie werden aber auch durch psychosoziale Faktoren, belastende Faktoren wie Stress beeinflusst.
Die kleinen Entzündungen im Darm können ohne ersichtlichen Grund oder in Folge eines Infektes auftreten. Hier spricht man dann von einem postinfektiösen Reizdarm-Syndrom. Auch Veränderungen in der Mikroflora sind beschrieben worden.

Welche Rolle spielt Stress beim Reizdarm-Syndrom?

60 % der Frauen und 40 % der Männer sind der Ansicht, dass ihr Reizdarm-Syndrom durch Stress ausgelöst wird. Tatsächlich lässt sich der Darm direkt über die Psyche beeinflussen. In einem Experiment an Medizinstudenten hat man beobachtet, dass die Darmaktivität deutlich steigt, wenn man einem Patienten sagt, dass bei ihm Darmkrebs entdeckt wurde. Klärt man ihn später über die Fehldiagnose auf, beruhigt sich die Darmaktivität wieder. Es gibt also einen engen Zusammenhang zwischen Emotionen und Darm. Hierzu ein weiteres Experiment: Reizt man den Darm, so empfindet der Mensch den Schmerz stärker, wenn er gerade unter Stress steht, als wenn er entspannt ist. Dies ist eine ganz normale körperliche Reaktion, wie sie auch beim Gesunden und nicht nur beim Reizdarm-Syndrom auftritt. Inzwischen sind die genauen Hintergründe dieser Reaktion sehr gut aufgeklärt.
Stress bewirkt, dass die Nahrung schneller den Darm passiert, die Häufigkeit des Stuhlgangs steigt und die Empfindlichkeit des Verdauungstraktes gesteigert wird. Bei einem Teil der Patienten mit einem Reizdarm-Syndrom reagiert der Körper stärker auf Stress. Dies lässt sich physiologisch nachweisen. Infolgedessen reagiert auch der Darm empfindlicher auf Stress. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Traumata die Stressreaktion verändern können. Bei Mäusen konnte gezeigt werden, dass durch ein Trauma in der frühen Kindheit (Entzug der Mutter) es zu Veränderungen verschiedener Faktoren im Darm kommt, die bis ins Erwachsenenalter nachweisbar sind. So erhöhte das Trauma die Durchlässigkeit der Darmwand, es traten mehr Entzündungszellen auf und die Zahl der Mastzellen im Darm war erhöht. Mastzellen sind Teil des Abwehrsystems, haben Histamin gespeichert und spielen bei bestimmten Allergien eine wichtige Rolle. Auch Stress erhöht die Durchlässigkeit der Darmwand. Traumata und Stress haben einen massiven Einfluss auf den Verdauungstrakt.
Bei Patienten mit einem Reizdarm-Syndrom findet man im Dickdarm eine Vermehrung nervennaher Mastzellen. Die Zahl der Mastzellen korreliert dabei mit der Intensität der Beschwerden beim Reizdarm-Syndrom. Mastzellen spielen also bei der Entstehung der Symptome beim Reizdarm-Syndrom eine ganz wichtige Rolle. Stress vermehrt die Zahl der Mastzellen und setzt vermehrt Botenstoffe (Histamin und Serotonin) aus den Mastzellen frei. Diese Botenstoffe wiederum führen zu einer Veränderung der Darmmotorik, der Darmdurchlässigkeit, der Sensibilität usw. und führen so zu Symptomen des Reizdarm-Syndroms wie Durchfällen und gesteigerter Stuhlfrequenz.
Das zeigt, dass die Störungen beim Reizdarm-Syndrom auf unterschiedlichen Ebenen liegen können. So gibt es Patienten mit Reizdarm-Syndrom, die gesteigert auf Stress reagieren, es gibt Reizdarm-Patienten, die vermehrt Mastzellen haben, und es gibt Patienten mit Reizdarm-Syndrom, die belastende Situationen und Stress kognitiv anders verarbeiten. All diese Veränderungen können zu den Symptomen des Reizdarm-Syndroms führen.
Ein Patient mit einem Stress-assoziierten Reizdarm-Syndrom hat nicht unbedingt mehr Stress als ein gesunder Mensch. Es kann auch seine Reaktion auf Stress verändert sein.

Zusammenfassung Stress und Reizdarm-Syndrom
Stress verändert auch beim Gesunden Funktionen im Verdauungstrakt.
Stress fördert bei vielen Patienten die Symptome des Reizdarm-Syndroms.
Die Reaktion auf Stress ist bei Patienten mit Reizdarm-Syndrom verstärkt.

Reizdarm-Syndrom nach Infekten

Bei rund 10 % der Patienten verbleiben nach einem Magendarminfekt Beschwerden im Verdauungstrakt monatelang über den eigentlichen Infekt hinaus. Man spricht dann von einem postinfektiösen Reizdarm-Syndrom. Das Risiko für ein solches Reizdarm-Syndrom ist besonders hoch, wenn der Patient während des Infektes zusätzlichen Belastungen, wie Angst oder Depressionen, ausgesetzt war. Bei diesen Patienten bleiben bestimmte Werte (z.B. die Zahl der T-Lymphozyten), die normalerweise nach dem Magendarminfekt wieder abklingen würden, erhöht. Diese Veränderungen spielen wahrscheinlich bei der Entstehung der Symptome beim postinfektiösen Reizdarm-Syndrom eine Rolle. Auch in diesem Fall scheint der Zusammenhang zwischen Darm und Psyche eine wichtige Rolle zu spielen.

Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Reizdarm-Syndrom

54-94 % aller am Reizdarm-Syndrom Erkrankten haben auch psychische Erkrankungen. Umgekehrt haben 20-60 % der Patienten mit psychischen Erkrankungen auch Beschwerden im Magendarmtrakt. Der Therapeut spricht hier von einer „Komorbidität“, die das gleichzeitige Auftreten zweier Krankheiten beschreibt.
Das Reizdarm-Syndrom tritt besonders häufig in Kombination mit Depressionen, Angsterkrankungen und Somatisierungsstörungen auf. Wenn Depressionen häufig in Kombination mit Beschwerden im Bauchraum auftreten, heißt dies jedoch nicht, dass Depressionen ein Reizdarm-Syndrom auslösen können. Schließlich fördern chronische Krankheiten, zu denen das Reizdarm-Syndrom gehört, allgemein die Neigung zu Depressionen.
Auch Angsterkrankungen sind oft von massiven Symptomen im Verdauungstrakt begleitet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Inkontinenz, also die Unfähigkeit Harn oder Stuhl zu halten, Angst beim Patienten auslöst.
Da die genannten psychischen Störungen und das Reizdarm-Syndrom alle vergleichsweise häufig auftreten, ist es wahrscheinlich, dass sie bei vergleichsweise vielen Patienten gehäuft kombiniert auftreten.

  • Mönnikes H. ; Schmidtmann M. ; Vav Der Voor I. R.Arzneimitteltherapie des Reizdarmsyndroms: Was funktioniert, was nicht – und bei wem? Der Internist, 2006, Vol. 47, Nr. 10, S. 1073-1083
  • Mönnikes, Hubert: CD Live Mitschnitt vom Vortrag auf der 43. Medizinischen Woche Baden-Baden (2009): Brain-Gut-Interaktion – Neurologische und psychologische Grundlagen des Reizdarm-Syndroms.

Vortragender: Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Hubert Mönnikes, Berlin
Prof. Dr. Mönnikes ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin, Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Redaktion: Dr. Inge Ziegler

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